Vorausgeschickt: der Weg nach ‚Gannahall‘ war an einigen Stellen nicht gerade ‚das Gelbe vom Ei.‘
Animiert von dem sich nähernden kürzesten Tag und der längsten Nacht des Jahres – ich hasse diese Zeit der frühen Dunkelheit – begab ich mich im Internet auf die Suche nach entsprechenden Veranstaltungen und wurde auch fündig.
Der Tag der Winter-Sonnenwende wird der Tradition folgend noch in vielen Gegenden mit den sogenannten Sonnenwendfeiern begangen. Und so stieß ich erst wenige Wochen zuvor auf die Sonnenwendfeier des Semnonenbundes in Nauen, im Havelland. Ich beschloss spontan diese Sonnenwendfeier zum Ziel einer Jahresabschlusswanderung zu machen.
Ein ausgesprochen interessantes Projekt tut sich hier auf, das historisch interessierte und engagierte Privatleute durch die Nachbildung eines Germanendorfes der Semnonen in Eigenleistung und jetzt auch mit Unterstützung der Stadt Nauen vorantreiben. Dazu gehört auch das Zelebrieren von angelesenem Brauchtum der damaligen Zeit. Rico Krüger, 1. Vorsitzender, unterhält dazu Kontakte zu Archäologen sowie Historikern und besucht entsprechende Ausgrabungsstellen.
Hier ein Link auf die Seiten des Projektes: https://www.gannahall.de/gannahall-dorf/gannahall-projekt/
Nun, unser Weg zum historischen Germanendorf der Semnonen startete am Bahnhof in Brieselang und wie eingangs bereits angedeutet brachte er einige Herausforderungen mit sich. Man tut sich in dieser Region des Havellandes schwer mit der Wahl ordentlicher Wanderwege, hat man doch zunächst den Ausbau von Radwegen von kommunaler Seite favorisiert. Dies betrifft vor allem Wanderer, die mit der Bahn anreisen. Zunächst liefen wir entlang der Bahntrasse bis wir den Havelkanal erreichten, um dort nach links am Kanal entlang abzubiegen. Wir unterquerten dabei bald die Brücke der Berlin-Hamburger-Bahn.
Es dauerte nicht lange und wir erklommen über Stufen die Brücke der Bredower Allee, auf der wir zur anderen Kanalseite wechselten. Auf dem Weg zur Unterführung der BAB 10 gab es keinen richtig begehbaren Randstreifen und im Kurvenbereich wird eine ‚Fluchtmöglichkeit‘ zusätzlich durch eine Leitplanke eingeschränkt. Insofern ist der Weg nicht wirklich empfehlenswert und nicht einmal als riskante Notlösung akzeptabel. Glücklicherweise gab es auf Grund der Besonnenheit meiner Wandergruppe keinerlei Zwischenfälle.
Nun ging es hinein in die Natur in Richtung Großer Havelländischer Hauptkanal, dem wir über einige Kilometer am Ufer folgten. Er zweigt bei Zeestow vom Havelkanal ab und endet in der Havel.
Friedrich Wilhelm I ließ ihn zur Entwässerung des Havelländischen Luchs 1718 anlegen.
Wir tangierten den Ort Bredow, benannt nach Arnoldus de Bredow, einem zu Geld gekommenen Gutsherrn, der seinerzeit mit dem Kauf des Landes Löwenberg den Bau der Burg Ziesar für Bischof Dietrich IV finanzieren half.
Langsam näherten wir uns der Stadt Nauen, wo ich mein jüngst erworbenes Wissen im Bredower Luch an die Mitwanderer weitergeben wollte. Es stand unter dem Motto: OHNE NAUEN KEIN HANDY! Hier in Nauen steht die weltweit älteste Sendeanlage. Bereits 1909 konnten im 1300 km entfernten St. Petersburg und 1911 im afrikanischen Togo und Kamerun Signale aus Nauen empfangen werden. Die Großfunkanlage wurde zum Weltfunkzentrum ausgebaut. Als Muthesius-Bau ist sie bis heute erhalten und befindet sich unter Denkmalschutz.
Dank flotter Füße, dem windigen und manchmal auch tröpfelnden Wetter geschuldet, kamen wir unserem Ziel in der Ludwig-Jahn-Straße näher. Viel zu schnell, wie sich herausstellen sollte, tauchten wir in die Welt der Altvorderen ein. Es dauerte eine ganze Weile, bis die ersten Feuer etwas Wärme spendeten und heißer Met die Lebensgeister wieder weckte. Bratwürste und Wildschweinbraten ließen noch etwas auf sich warten.
Mit eingebrochener Dunkelheit und leicht illuminierten Gebäuden legte sich langsam eine mystische Stimmung über das Semnonendorf. Leider bekam ein Teil meiner Wandergruppe dies nicht mehr mit, da sie sich fröstelnd bereits auf den Heimweg gemacht hatten. Zusammen mit Wanderfreundin Renate machte ich es mir am Feuer im Innern eines Grubenhauses bequem. Man wurde zwar leicht geräuchert, aaaber warm war es hier schon. Die Gesichter glühten.
Immer mehr ‚Gewandelte‘ traten aus der Dunkelheit hervor. Wie ich erfuhr, ist das der Terminus für Vereinsmitglieder, die in möglichst detailgetreuer Kleidung zur Festlichkeit erscheinen. Gegen 19:30 Uhr begann dann der offizielle Teil des Rituals zur Sonnenwende. Vor dem Grubenhaus wurden feierliche Verse zelebriert, um danach Fackeln an die ‚Gewandeten‘ zu verteilen. Diese zogen dann in einer Formation, gefolgt von ca. 300 interessierten Besuchern, zum Semnonenhain.
Was ich für bemerkenswert halte: anlässlich der Opfer von Magdeburg unterbrach man diese feierliche Zeremonie und bat um eine Schweigeminute, die aber ganz sicher länger ausfiel. Man vernahm tatsächlich keinen Laut. Danach entzündeten die Fackelträger im Kreis das ‚Große Feuer‘ unter begleitenden rhythmischen Klängen aus selbstgebauten Musikinstrumenten, das zu einem Abtauchen in andere Welten verführen konnte. ‚Spendengaben‘ wurden in das niederbrennende Feuer symbolisch geworfen.
Am Ende des Rituals kam ich einer Bitte auf den sehr informativ gestalteten Webseiten des Semnonenbundes nach und übergab dem 1. Vorsitzenden, Rico Krüger, als Spende der Wandergruppe einen Zimmermannshammer.
Es war ganz sicher nicht das letzte Mal, dass ich mit einer Wandergruppe diesen brauchtumspflegenden Verein zum Ziel meiner Wanderung oder einer Radwanderung machen werde…
Und so titelte die MOZ im Februar 2020:
Das historische Dorf Gannahall in Nauen
Der Semnonenbund befasst sich in Nauen mit dem Leben der alten Germanen und baut dazu das historische Dorf Gannahall.
Der Link führt zum Artikel: https://www.moz.de/lokales/brandenburg-havel/germanische-geschichte-zum-anfassen-das-historische-dorf-gannahall-in-nauen-49302848.html
Hier verlinke ich zur Tourenaufzeichnung bei komoot mit weiteren Impressionen zu dieser Wanderung: https://www.komoot.com/de-de/tour/1989089972
Bernd F. Bernhard
Zertifizierter DWV-Wanderführer®
Zertifizierter Natur- und Landschaftsführer (BANU)
Spezialisiert auf Mehrtages-, Nacht- und Radwanderungen